Ein 200-jähriger Patient
Ende Mai 2019 haben wir Cyril Hausin und Severin Murer während der Pflegearbeiten an drei Mammutbäumen auf der Insel Rheinau im Kanton Zürich begleitet. Wir bekamen nicht nur einen Einblick in den Ablauf eines Arbeitstages eines Baumpflegers sondern auch in einige Techniken, die notwendig sind, um sicher im Baum unterwegs zu sein.
30 September 2019
Baumpflege
Der Tag beginnt früh am Morgen, die Vögel zwitschern und in Kürze geht die Sonne auf. Ein langer Weg von der Romandie nach Rheinau im Kanton Zürich steht auf dem Programm. Dort habe ich mich mit Severin Murer, 25-jähriger Baumpfleger mit eidgenössischem Fachausweis, verabredet, um ihn und seinen Kollegen Cyril Hausin bei Baumpflegearbeiten zu begleiten. Cyril ist selbstständiger Baumpfleger, der mit der Firma Happy Tree Friends zusammenarbeitet und für die heutigen Arbeiten Severin zur Hilfe engagiert hat. Auf dem Weg in den Kanton Zürich beobachte ich aus dem Zug heraus, wie die Schweiz allmählich aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht.
In Rheinau angekommen, schlage ich den Weg zum ehemaligen Kloster Rheinau auf der kleinen Insel im Rhein ein. Das Kloster wurde um 858 gegründet und schaut somit auf eine lange Geschichte zurück. Aber nicht nur die Klosterkirche und die angrenzenden Gebäude können Geschichten aus längst vergangenen Zeiten erzählen, auch der Baumbestand weist ein hohes Alter auf. Und so wundert es mich nicht, dass unsere heutige „Kundschaft“ in etwa 200 Jahre alt ist, wie uns Cyril erzählt. Drei, wie ich finde, überdimensionale Riesenmammutbäume (Sequoiadendron) warten darauf eine Schönheitskur zu erhalten, um von totem Geäst befreit zu werden.
Nach kurzer Sichtung der Bäume machen sich Severin und Cyril parat, um mit dem Einschießen der Wurfleinen, welche dem anschließenden Hochziehen des Arbeitsseils dienen, zu beginnen. Severin spannt die Big Shot und lässt den Sandsack mit Karacho in den Baum sausen – doch leider prallt der Sack von einem Ast weg. Es braucht einige Anläufe, um die Wurfleine optimal im Baum zu platzieren. Neben viel Übung gehört auch das notwendige Quäntchen Glück dazu. Nach dem Einzug des Arbeitsseils beginnt der Aufstieg an Seilklemmen. Wenn ich sehe, wie schnell die beiden Jungs im Baum verschwinden, kommt mir mein Aufstieg wie eine gefühlte Ewigkeit vor.
Oben in der Krone angekommen, holen wir kurz Luft und genießen erstmal den herrlichen Ausblick über den Rhein. Schon kurze Zeit später beginnen Severin und Cyril mit dem Entfernen des Totholzes. Die beiden Baumpfleger arbeiten sich rasch von der Krone abwärts und tänzeln förmlich durch den Baum. Meine Bewegungen als absoluter Neuling wirken hingegen recht behäbig. Aber nach einer kurzen Eingewöhnung finde auch ich Gefallen an der Technik und genieße das „freie Schweben“ durch den Baum. Es dauert nicht lange und der erste Mammutbaum, welcher mit über 45 m auch der höchste war, ist fertig. Nun folgen die beiden anderen Bäume.
Nach drei erfolgreich behandelten Mammutbäumen warten zum Abschluss des Tages noch zwei Linden auf die Befreiung vom Totholz. Hierbei lasse ich die beiden Baumpfleger jedoch alleine. Als ich im Zug sitze, sehe ich wie ein Gewitter aufzieht. ‘Hoffentlich werden Severin und Cyril noch rechtzeitig fertig’, schießt es mir durch den Kopf, bevor ich den Tag Revue passieren lasse. Der Beruf als Baumpfleger ist schon extrem spannend und abwechslungsreich, wobei ein enormes Repertoire an technischen und botanischen Kenntnissen notwendig ist.
Während der Arbeiten hatten wir ausreichend Zeit, um über Severins Beruf als Baumpfleger und das verwendete Material zu sprechen, woraus das nachfolgende Interview entstanden ist.
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Severin, wie lange bist du bereits Baumpfleger?
Seit 3 Jahren und seit August 2018 mit eidg. Fachausweis
Wie beschreibst du deinen Beruf?
Der Baumpfleger ist der Spezialist rund um Bäume. Von der Pflanzung über die Erziehung des Jungbaumes, die Pflege des Altbaumes bis hin zur Spezialfällung machen wir mithilfe der Seilklettertechnik alles.
Weitere wichtige Tätigkeitsfelder dieses Berufes sind Baumbeurteilungen zu Stand- und Bruchsicherheit, Definieren und Ausführen von Baumschutzmaßnahmen und das Erstellen von Gutachten.
Was gefällt dir an deinem Beruf? Was begeistert dich jeden Tag aufs Neue?
Es ist sehr abwechslungsreich. Jeden Tag ist man auf einer bis mehreren neuen Baustellen und jedes Mal steht man vor einer neuen Herausforderung. So bleibt es immer spannend und actiongeladen. Ganz besonders gefallen mir das Klettern an großen, alten Bäumen und die Spezialfällungen.
Mit welchen Gefahren und Schwierigkeiten bist du in deinem Beruf konfrontiert?
Wir arbeiten in Höhen, aus der ein Sturz schwerwiegende Konsequenzen haben kann; dabei können wir uns nicht auf genormte Ankerpunkte für unser Klettersystem verlassen. Bäume sind nie ganz berechenbar, deshalb ist es sehr wichtig, immer auf Nummer sicher zu gehen, Fachwissen und Erfahrung zu haben und sich stets mit dem Kletterpartner abzusprechen.
Beim Schneiden oder Fällen von Bäumen arbeiten wir mit scharfem, gefährlichem Werkzeug in teils schier unmöglichen Positionen. Ein großes Repertoire an Klettertechniken ist hier sehr hilfreich, um die Sicherheit und Arbeitspositionierung zu verbessern.
Unerlässlich ist auch das korrekte Beurteilen von Stand- und Bruchsicherheit von Bäumen, um die Gefahr des Ausbrechens oder des Umkippens mitsamt Baum zu verhindern.
Welche Produkte benutzt du von Petzl?
Von Petzl benutze ich hauptsächlich Hardware wie den mechanischen Prusik ZIGZAG, das zusätzliche Bremselement CHICANE sowie verschiedene Karabiner und Klemmen. Das ZIGZAG ist genial und bietet bei jeglicher Witterung stets gleichbleibenden Komfort und Zuverlässigkeit. Die Kombination mit dem neuen CHICANE ermöglicht es mir endlich, die SRT (Single Rope Technique / SRS Stationary Rope System) legal zu klettern. Bisher war das Anwenden dieser Technik aufgrund fehlender Zertifikation der Geräte oder fehlender Betriebsanleitung in allen Landessprachen der Schweiz leider nicht legal.
An der PANTIN mag ich, dass sie so klein ist, beim Klettern nicht stört und das Risiko von Rindenverletzungen so verkleinert.
Der PERSONNEL 15 Liter gefällt mir, weil er so einfach und kompakt gebaut ist.
Die neuen Petzl-Karabiner sind sehr zuverlässig und verschmutzungstolerant, was eine Erhöhung der Sicherheit bedeutet.
In letzter Zeit benutze ich auch öfter den neuen Klettergurt SEQUOIA SRT, welcher durch sein geringes Gewicht und den hohen Tragekomfort besticht.
Welchen Bedürfnissen der Baumpfleger werden diese Produkte gerecht?
Wichtig ist, dass sie sicher und zuverlässig sind. Da wir täglich damit arbeiten, sollten sie einen gewissen Komfort mitbringen und qualitativ hochstehend sein. Letztlich stellt jeder Baumpfleger sein Material nach seinen individuellen Bedürfnissen zusammen, ganz wie ihm Ergonomie und Handhabung am besten zusagen, unabhängig von der Marke.
Wenn du gewisse Produkte verändern oder verbessern könntest, was würdest du machen?
Wenn ich es mir aussuchen dürfte, würde ich gerne ein ZIGZAG haben, das ohne zusätzliches Reibungsgerät für die SRT verwendet werden kann. Überhaupt wünsche ich mir mehr zertifizierte SRT Geräte. Zudem wäre ein PERSONNEL in einer 20 Liter-Variante toll, ein kleines bisschen grösser eben.
Welche Produkte aus dem neuen Sortiment bieten dir einen zusätzlichen Vorteil beim täglichen Arbeitsgebrauch?
Dank der CHICANE kann ich jetzt SRT klettern, was mir eine Vielzahl von Möglichkeiten im Baum eröffnet. Es macht einen kompletteren Kletterer aus mir. Was ich auch sehr mag ist, dass ich nun im Baum schnell und einfach von DdRT auf SRT und wieder zurück wechseln kann.
Bei Fällungen war bis jetzt ab einem gewissen Stammdurchmesser der Kambiumschoner zu klein, jetzt kann ich einfach mein Seil würgend anschlagen und mich, dank der CHICANE, ohne kompliziert erzeugte Zusatzreibung immer selbst ablassen.
Auch eine Rettung mit dem Doppelseil kann jetzt - dank dem ZIGZAG PLUS und der CHICANE - einfacher ausgeführt werden. Denn sobald man früher irgendwo zusätzlich Reibung erzeugen musste, wurde es kompliziert und umständlich; mit der CHICANE hat man nun eine einfache, benutzerfreundliche und sehr schnelle Lösung.
Ich denke, es wird auch die Rettung bei den Europameisterschaften im Baumklettern revolutionieren.
Der KNEE ASCENT LOOP ist ein super All-in-one-System für den Einfachseilaufstieg.
Vermitteln diese mechanischen Aufstiegsgeräte ein höheres Gefühl von Sicherheit?
Nicht unbedingt, bei mechanischen Aufstiegsgeräten gibt es auch Risiken wie z.B. Querbelastungen, wie man sie bei einem Knoten nicht kennt. Ein erhöhtes Gefühl an Sicherheit gibt nur das Wissen über die korrekte Anwendung sowie stetiges Kontrollieren der PSA.
Probierst du gerne Neues aus oder vertraust du lieber altbewährten Techniken?
Ich probiere alles Neue, denn die Entwicklung steht nie still! Nicht alles Neue ist brauchbar und manchmal muss man auch auf altbewährte Techniken zurückgreifen. Aber jede neue Technik erweitert mein Knowhow und meine Möglichkeiten.
Bevorzugst du die Doppel- oder Einfachseiltechnik? Warum?
Beide Techniken haben Ihre Vor- und Nachteile sowie eine Daseinsberechtigung.
Bei kleineren Bäumen sowie bei Fällungen bevorzuge ich die Doppelseiltechnik. Bei großen Bäumen oder bei der Totholzentfernung bevorzuge ich die Einfachseiltechnik, da man sich viel schneller fortbewegen kann und die Positionierung mit Umlenkungen einfacher und reibungsfrei ist.
Am Doppelseil gefällt mir das geschmeidige, elegante Klettern. Beim Einfachseil kann die Ankerpunktlast über mehrere Punkte verteilt werden, was die Sicherheit erhöhen kann. Auch ist bei der SRT - durch Ablassen des Seils - unter Umständen eine Rettung vom Boden aus möglich.
Wichtig ist aber immer, das du und deine Mitarbeitenden über die angewandte Technik informiert seid und in jeder Situation wisst, wie zu handeln ist.
Hier ist momentan in der Schweiz auch noch das größte Problem der Einfachseiltechnik vorhanden: Die meisten kennen Sie noch nicht oder sind noch nicht gut genug darüber aufgeklärt.
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An dieser Stelle möchte ich mich recht herzlich bei Severin für das interessante Gespräch, sowie bei Cyril für seine Geduld bedanken. Es hat mich sehr gefreut euch einen Tag lang bei eurem Job zu begleiten!
Texte & photos : © Christian Peschel
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