Interview mit Odila Gärtner
Stahl, Wasser und Menschen - so könnte man die Lieblingsbereiche von Odila Gärtner knapp zusammenfassen. Ein Gespräch über die Lust auf Natur, die Leidenschaft für Maschinen und Menschen und ein Plädoyer für Frauen in Technikberufen.
6 März 2023
Odila Gärtner genießt einen sonnigen Tag 90 Kilometer von der nächsten Küste entfernt. © 2022 Petzl Distribution - Jan Oelker - DanTysk
Odila, du arbeitest als Service Leaderin bei Vattenfall im Offshore-Windpark in deutsch-dänischen Gewässern der Nordsee. Deine Unterkunft für die 14-Tage-Arbeitsschichten liegt 90 Kilometer vom Festland entfernt.
Ich habe mich schon immer für Technik interessiert. Ich liebe Stahl und ich liebe es Draußen zu sein. Offshore habe ich meine berufliche Erfüllung gefunden, wenn man so will. Nicht nur weil ich hier draußen vollkommen der Natur ausgesetzt bin, sondern auch weil ich ein Fan von Schichtdienst bin: ich fokussiere mich 14 Tage lang voll auf die Arbeit und kann im Anschluss meine 14 Tage Freizeit voll genießen. Natürlich sind die Tage mit 12-Stunden-Schichten sehr intensiv und meine Arbeit als Service Leaderin teilweise sehr stressig, aber ich liebe es.
Was gehört denn zu deinen Aufgaben als Service Leaderin?
Vereinfacht gesagt: Ich plane, und weil wir Offshore arbeiten, plane ich um diese Pläne wieder neu zu planen. Weil das Wetter nicht mitspielt, weil Lieferungen vom Festland nicht pünktlich kommen – die Möglichkeiten weswegen etwas nicht funktioniert sind mannigfaltig. Eine meiner Hauptaufgaben, neben der Bewertung der Wetterdaten, ist die Planung der Technikerteams. Sie müssen zu Service- und Trouble-Shootings jeden Tag mit dem Boot oder dem Helikopter zu den Anlagen gebracht werden. Die Mühlen müssen sich drehen, nur so kann Energie erzeugt werden. Jede Windkraftanlage muss turnusmäßig einmal im Jahr gewartet werden, dazu kommen besondere Instandhaltungsaufgaben, die nach 2,3 oder 5 Jahren Laufzeit anfallen. Die Arbeiten an der Mühle gehen von „Level Zero“ also Eingangslevel des Anlagenturms nach unten bis zum Fundament das bis zu 30m tief ins Wasser reicht und hinauf bis zu den Rotorblättern. Je nach anfallenden Arbeiten muss ich die Teams zusammenstellen, die dafür qualifiziert sind. Auch die Koordinierung an der Anlage ist wichtig – es können nicht zu viele Techniker an einem Windkraftrad arbeiten und nicht immer können verschiedene Teams für verschiedene Bereiche zusammen losgeschickt werden.
Dann organisiere ich die CTVs, dass sie rechtzeitig kommen und die Teams je nach Einsatzort koordiniert und zügig zu den Windmühlen bringen. Dazu muss sich mein Kollege um Ersatzteilbestellungen kümmern, was eine eigene Planungsherausforderung darstellt, weil wir von Deutschland über Dänemark beliefert werden – unsere Plattform befindet sich in einer deutschen außerordentlichen Wirtschaftszone und unser „Heimathafen“ und Lager im dänischen Esbjerg. Das führt zu einem immensen Aufwand an Liefer- und Zolldokumenten sowie viel Koordination mit unserem Onshore-Lager. Dazu kommt dann noch zuweilen eine außerordentliche Wetterlage.
Odila ist Service Leaderin für die Windparks DanTysk und Sandbank © 2022 Petzl Distribution - Jan Oelker - DanTysk
Klingt nach einem hohen Arbeitspensum und ein wenig auch nach Puzzle zusammensetzen?
Ja, die Tage sind gut ausgefüllt – auch an Schlechtwettertagen. Da können ja unsere Techniker nicht zu den Anlagen gebracht werden und müssen dann zwangsläufig die Zeit überbrücken. Wir nutzen solche Tage gerne für Rettungsübungen – auch das ist eine Aufgabe von mir, gemeinsam mit meinen Kollegen und der Abteilung für Health and Safety diese Szenarien auszutüfteln, umzusetzen oder Dokumentationen zu prüfen, Verbesserungsvorschläge von unseren Technikern zu besprechen und die Dokumente entsprechend zu überarbeiten. Mir ist es wichtig, dass ich selber immer mal wieder rauskomme auf eine Windkraftanlage. Zum einen weil ich diese Art der Arbeit liebe – die körperbetonte Arbeit, draußen an der frischen Luft. Das schätze ich sehr. Außerdem kann ich deshalb besser einschätzen was ich meinen Teams an Arbeit zumuten kann und was nicht. Beispielsweise wenn ein Lift in einer Anlage nicht funktioniert, dann kann ich die Jungs nicht zigfach nach oben schicken. Und, falls es gar nicht anders geht, sollte ich zumindest dafür sorgen, dass der nächste Einsatz etwas weniger körperlich anstrengende Arbeiten beinhaltet. Da sich die Ausseneinsätze für mich kaum in meinen Offshore-Alltag in den Schichten unterbringen lassen, gehe ich im Rahmen meines Nebengewerbes in meiner „Freizeit“ ins Seil, meistens für Blattinspektionen oder Blattreparaturen.
Die Wartung einer Windkraftanlage ist sehr aufwendig und muss einmal pro Jahr erfolgen. © 2022 Petzl Distribution - Jan Oelker - DanTysk
Hattest Du jemals ein Problem etwas bei den Kollegen durchzusetzen?
Nein, ich hatte noch nie ein Problem damit, mir Respekt zu verschaffen. Das mag bestimmt damit zusammenhängen, dass ich die gleichen Arbeiten verrichten kann wie die Kollegen. Vielleicht liegt es aber auch an meinem Arbeitgeber Vattenfall: Die skandinavischen Länder sind insgesamt viel aufgeschlossener was Frauen in Technikberufen und was Frauen in Führungspositionen betrifft. In meinem Fall kommen dann Technik und Führung zusammen – es hat keiner damit eine Schwierigkeit. Und schon gar nicht meine beiden weiblichen Chefs im Headquarter.
Hast Du da auch andere Erfahrungen gemacht?
Oh ja! Ich habe ja eine KFZ-Mechanikerlehre absolviert und dann längere Zeit in einer kollektiv geführten KFZ-Werkstatt mit vier Frauen gearbeitet. Wir hatten unheimlich viel Erfolg damit, so großen Erfolg, dass ich in der Zeit der „Autodiva“ in Hamburg nicht meinen Meister machen konnte. Den habe ich später gemacht. Und mit meinem Meisterbrief in der Tasche habe ich mich dann als Servicetechniker beworben. Die meisten Firmen bilden Dich ja dann zum Servicetechniker weiter aus, wie das auch in meinem Fall war. Allerdings kam da auch mal der Anruf auf meine Bewerbung hin, ob ich sicher sei, dass ich mich auf den richtigen Job beworben hätte. Weil ich ja eine Frau bin. Das ist nicht einfach und ich bin meinen Eltern dankbar, dass sie mir die Freiheit gegeben haben alles zu tun, worauf ich Lust habe. Sie haben mich immer bestärkt indem was ich getan habe. Mit weniger Selbstbewusstsein hätte sich meine berufliche Laufbahn vielleicht anders entwickelt. Letztendlich hat mich ein kleiner Serviceanbieter angestellt – ich war die einzige Frau, was mich aber nicht störte. Ich durfte verschiedene Lehrgänge absolvieren und habe final als Servicetechnikerin für Siemens- und Vestas-Anlagen „Onshore“ gearbeitet. Später bin ich Gutachterin für Windkraftanlagen geworden und war weltweit im Einsatz – von Ägypten bis Finnland, eine herrliche Zeit. Fehler durfte ich mir nicht erlauben, ich war überall bekannt, weil ich als Frau und dann auch noch tätowiert auffiel. Mich hat das angespornt, auch als ich nochmal Gegenwind bekam, weil ich meinen Seilzugangstechnikerschein machen wollte. Das sei nun wirklich nichts für Frauen kam da aus unerwarteten Ecken. Gut, dass sich hier etwas tut!
Odila entspannt sich nach einem anstrengenden Arbeitstag auf der Wohnplattform. © 2022 Petzl Distribution - Jan Oelker - DanTysk
Also ein Plädoyer für Frauen in technischen Berufen?
Ja. Letztendlich ist es egal, ob Mann oder Frau – als Servicetechniker Offshore muss ich vor allem gerne draußen sein. Es darf keine Qual sein, auch mal in Regen und Wind zu arbeiten. Körperlich-harsche Arbeit ist insgesamt nicht für jeden Menschen gleichermaßen gut absorbierbar. Letztlich sehe ich keine großen geschlechtsspezifischen Unterschiede – es muss Freude machen. Dann klappt alles.
Was bedeutet für dich Offshore?
Schwerindustrie ist für mich wie ein Spielplatz für Erwachsene. Es ist die Komplexität der Aufgaben, die mich reizt. Das Zusammenspiel von Natur und Technik, die Teamarbeit, die hier eine riesen Rolle spielt, und die einmalige Chance, die Windkraft auf See zur Stromerzeugung zu nutzen – mit einer sauberen, zukunftsweisenden Technik. Das macht für mich Offshore aus. Wenn es auf der OAP richtig rumpelt und wir wegen zu viel Wind das Deck schließen müssen, die Plattform vibriert und der Stahl knarzt, dann habe ich keine Angst, sondern freue mich wie ein Keks über diese fantastische Ingenieurskunst!
Wenn ich nicht arbeite, lebe ich teilweise in einem umfunktionierten Schaustellerwagen auf der Insel Fehmarn, ohne Fließendwasser – wenn ich meine Arbeitsschicht auf der Plattform antrete, freue ich mich auf 14 Tage heißes Wasser aus der Wand (lacht). Ich liebe mein Leben so wie es ist. In meiner Freizeit verbringe ich jede freie Minute in der Natur, ich gehe Surfen, ich liebe die Küste, aber auch die Berge (wobei ich hier nie das Wetter einschätzen kann) und meine Kettensäge – die Welt ist so schön! Es erfüllt mich, wenn ich mit meiner Arbeit einen kleinen Beitrag dazu leisten kann, dass unsere Welt so erhalten bleibt und vielleicht ein bisschen besser wird.
Ein Arbeitstag geht in wunderschöner Naturkulisse zu Ende. © 2022 Petzl Distribution - Jan Oelker - DanTysk
Autorin: Susa Schreiner
Verwandte Meldungen