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Cerro Torre - aus einer anderen Sichtweise

Der Cerro Torre in Patagonien gilt unter Bergsteigern als einer der schwierigsten Berge weltweit. Wer die 3128 Meter hohe Felsnadel besteigen will, muss sich auf eine extreme Herausforderung mit glatten Granitwänden und äußerst widrigen Wetterbedingungen einstellen. Eine zusätzliche Challenge hatte die Dreierseilschaft um die zwei Osttiroler Bergführer Vittorio Messini und Matthias Wurzer. Sie machten sich gemeinsam mit Gabriel Tschurtschenthaler, der zu 90% blind ist, auf den Weg zum Gipfel. Ein Bericht aus einer anderen Sichtweise.

1 März 2022

Bergsteigen

Das Vorhaben: Cerro Torre

Im Winter 2018 bekam mein Kletterpartner und guter Freund Vittorio „Vitto“ Messini eine Anfrage zu einem Eiskletterkurs. Sein Gast war Gabriel: 34 Jahre jung, zu 90% blind, sehr talentiert und voll motiviert!

Nach einer Hochtour auf den Großglockner über den Nordwestgrat beim Abschlussbier kam Vitto die Idee, dass für Gabriel aufgrund seiner Kondition, Stärke im Eisklettern und seiner Motivation die „Ferrari“ oder „Ragni“ Route an der Cerro Torre Westwand ein ideales Ziel wären. Vitto erzählte mir von seiner Idee. Nach einigen Überlegungen kamen wir zum Schluss, dass die Seilschaft zu dritt mehr Reserven für so ein ambitioniertes Vorhaben hat. Es folgten viele gemeinsame Vorbereitungstouren.

 

Die ersten Versuche

Im September 2021 war es dann schließlich soweit, und wir starteten unser Abenteuer. Vitto flog Mitte November gemeinsam mit seiner Familie nach Argentinien. Gabriel und ich folgten eine Woche später. Mit von der Partie war auch Christian „Kruscht“ Riepler, der unser Vorhaben mit der Kamera dokumentierte.

In den ersten Wochen gelang uns als Team der Aguja Poincenot über die "Whillians-Cochrane“ Route. Wenige Tage später unternahmen wir den ersten Versuch am Cerro Torre. Leider erfolglos. Schon beim Zustieg wurde uns klar, dass wir zu schwer beladen und viel zu langsam waren. Wir brachen den Versuch ab. Gottseidank bekamen wir aber einige Zeit später nochmals eine Chance.

Die Gipfelbesteigung - ein "Schnee-Techno-Krimi"

Am 14. Dezember 2021 starteten wir also einen weiteren Versuch Richtung Cerro Torre. Mit den Erfahrungen aus den letzten Wochen, änderten wir unsere Taktik. Wir arrangierten für den ersten Tag einen Träger der Gabriels gesamtes Material über das schwierige Moränengelände trug. Jetzt kam Gabriel viel schneller voran, und der Zustiegstag zum Passo Marconi verlief viel besser als beim ersten Versuch.

Der lange Marsch am zweiten Tag, zum „Circo de los Altares“, dem Gletscheramphitheater am Fuße der Cerro Torre Westwand, wurde wegen der schlechten Schneeverhältnisse zur Qual. Am „Circo de los Altares“ angekommen, stiegen wir noch bis kurz unter das Col de Esperanza. Dort oben fanden wir einen super Zeltplatz für unsere zweite Nacht. Seit eineinhalb Jahren war wegen Corona keiner mehr hier, und die Abgeschiedenheit und Ausgesetztheit dieses Platzes war voll zu spüren.

Am dritten Tag ging es um 4:00 Uhr los. Unser Kameramann Christian blieb nun bei den Zelten und verfolgte uns von dort aus.

Der erste Teil der Route ist nicht all zu steil und ließ sich gut im dunklen klettern. In diesem Gelände ist Gabriel richtig stark, und wir kamen schnell voran. Als wir die erste schwierige Seillänge am „Elmo“ erreichten, wurde es hell. Wenig später kamen wir zur sogenannten „Headwall“. Eine senkrechte, strukturlose Gletschereis-Länge die sich sehr gut klettern ließ.

Vitto und ich übernahmen abwechselnd den Vorstieg. Der zweite kletterte vor Gabriel, baute für ihn die Sicherungen ab und gab Anweisungen, wo es nötig war. In der vorletzten Seillänge konnten wir noch nie gesehene Naturgebilde bewundern und nutzen einen der drei senkrechten, ca. 1,5 m breiten Tunnels in Schnee und Eis, die nun zur letzten Seillänge hinaufführten. Nun schaute die Sache ernst aus.

Nach einem 3-stündigen Schnee-Techno-Krimi, gelang es uns, diese schwer abzusichernde Passage zu klettern und wir standen um 16:30 Uhr am Gipfel des Cerro Torre. Es war windstill. Wir konnten kaum glauben, es geschafft zu haben.

Der Rückweg nach El Chalten

Nach so vielen Fragezeichen, Anstrengungen und Mühen waren wir überglücklich, oben zu stehen. Wir saßen eine Weile, genossen die so seltene Aussicht und schauten über die Weiten, die wir hinter uns gebracht hatten. Der Rückweg gestaltete sich noch einmal spannend. Wir seilten über die gleiche Route ca. 20 mal ab. Das Wetter war nun richtig gut. Fast zu gut, denn die Sonne bearbeitete das Eis, und es war ziemlich Bewegung in der Wand. Immer wieder flog Eis von oben herunter. Als die Dunkelheit hereinbrach, machten wir die letzte Abseillänge und Christian unser Fotograf kam uns die letzten Meter entgegen. Hundemüde aber sehr zufrieden verbrachen wir die 4. Nacht im gleichen Lager.

Am nächsten Morgen ging es weiter und eineinhalb Tage später kamen wir wieder in El Chalten an. Am selben Abend spielte noch die einheimische Band „Siete Venas from del Monte“. Und so konnten wir unsere gelungene Tour ausgiebig feiern. Ein überaus passender Abschluss und schöner Abschied von Patagonien!

 

Danksagung und Gedanken

Es bleibt uns nur mehr, den Hut vor Gabriel zu ziehen, der immer voll motiviert bei der Sache war und keine Sekunde an uns gezweifelt hat. Der alles gegeben und wirklich alles bekommen hat. Mit Recht können wir von uns behaupten, ein super starkes Team zu sein.

Ein großes Danke geht an Christian fürs Begleiten, Fotografieren, Filmen und seinen Sherpa-Dienst. Er war wirklich eine überaus wertvolle Hilfe und ein wichtiges Backup für unsere Unternehmung.

Vittos Familie war auch ein Teil der Geschichte. Seine Frau Christina hat uns immer mit wichtigen Wetterinfos versorgt, und die Kinder haben uns oft sehr schöne, lustige aber auch manchmal anstrengende Stunden bereitet.

Zuallerletzt gehen unsere Gedanken an die Bergsteiger Robert Grassegger und Corrado Pesce, die in letzten paar Wochen ihr Leben in den Bergen Patagoniens lassen mussten. Ihre tragischen Unfälle und das damit verbundene Leid in den Familien soll unser - in gewisser Weise - egoistisches Handeln am Berg vergegenwärtigen und uns für die Zukunft bescheidener und noch rücksichtsvoller machen.

 

Text: Matthias Wurzer & Vittorio Messini

Fotos: Berg im Bild & Matthias Wurzer

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