Fabian Buhl schreibt Geschichte in Patagonien: Aufstieg und Flug vom Cerro Torre
Zwar sind bereits vier Gleitschirmflieger vom Cerro Torre aus gestartet, allerdings wurde der Pilot bisher jedes Mal auf dem Gipfel abgesetzt. Die Pinn-Brüder waren 1988 über die Ragni-Route aufgestiegen mit dem Ziel, vom Gipfel aus mit dem Gleitschirm zu starten, aber sie hatten kein Glück mit dem Wind und mussten sich abseilen. Für Fabian Buhl war die Begehung des Cerro Torre über eine legendäre Route und der Flug mit dem Gleitschirm vom Gipfel aus eine lang ersehnte Herausforderung.
9 April 2020
Bergsteigen
Eine Herausforderung, was das Klettern und die Wetterbedingungen angeht
Am 31. Dezember 2019 treffe ich mich mit Colin Haley in Buenos Aires, von wo aus wir uns auf den Weg nach El Chalten, Argentinien, machen. Wir hoffen, dass es uns gelingt gemeinsam eine außergewöhnliche Route zu begehen wohl wissend, dass die Wetterbedingungen im Augenblick nicht günstig sind. Der Wetterbericht sagt mehr Niederschläge als gewöhnlich voraus und bislang waren die Kletterbedingungen alles andere als ideal. Patagonien ist für seine unvorhersehbaren Wetterbedingungen bekannt, aber wir beschließen trotzdem unser Glück zu versuchen. Die einzige Möglichkeit eine Begehung zu realisieren ist hinzufahren, optimistisch zu bleiben und jede sich bietende Gelegenheit zu nutzen.
Das Leben in El Chalten kann ziemlich frustrierend sein: alle Wetterdienste der Welt Tag und Nacht überwachen, um auch das kleinste Schönwetterfenster nicht zu verpassen. Wir bemühen uns locker und gelassen zu bleiben. Abgesehen von ein paar Tagestouren werden unsere Klettergurte einen ganzen Monat lang kaum benutzt.
Kurz vor meiner Rückkehr nach Europa tritt eine deutliche Wetterbesserung ein und es tut sich ein beständiges Wetterfenster (aber mit eisiger Kälte) auf. Da in letzter Zeit viel Schnee gefallen ist, sind die Kletterbedingungen nicht gerade optimal. Nachdem wir mehrere Möglichkeiten der Gipfelbesteigung diskutiert haben, entscheide ich mich für eine echte Herausforderung: Aufstieg über die Ragni-Route und Flug mit dem Gleitschirm vom Gipfel des Cerro Torre. Die Ragni gehört zu den legendären Routen. Das Rime Ice, das sich in dieser Route bildet, ist einfach unglaublich und die Eisbedingungen können ebenso gut perfekt wie extrem schwierig sein. Da sie in dieser Saison bisher noch nicht begangen wurde, sind die Bedingungen in der Ragni-Route ein Rätsel.
Eine einmalige Gelegenheit
Dieses Abenteuer ist für mich ein ganz besonderes Ereignis in einer einzigartigen Umgebung. Ich möchte Teil des Teams sein, das diese Route erstmals in dieser Saison begeht. Wir schaffen es, eine Gruppe motivierter Kletterer zusammenzustellen: Christophe Ogier, JB Tapie, Mathieu Perrussel, Raphaela Haug und Laura Tiefenthaler. Wir bilden zwei Seilschaften und erreichen in kurzer Zeit den Einstieg der Route. Um diese legendäre Route in dieser Saison erstzubegehen, müssen wir ziemlich viel Rime Ice entfernen. Die Schönheit der Route beeindruckt mich in gleichem Maße wie die Menge an Rime Ice. Die größte Steilstufe, eine Seillänge mit viel Eis, ist mit einer 20 cm dicken Rime Ice Schicht überzogen und verlangt uns einiges an Reinigungsarbeit ab.
Mit dem Gewicht unserer Ausrüstung kommen wir zwar langsam aber sicher voran. Am Fuße des Gipfelpilzes weht ein heftiger Wind. An diesem Tag ist ein Flug nicht möglich. Ich beschließe im Trockenen zu bleiben, während die anderen Mitglieder der Gruppe weitergehen, da einige von ihnen keine Biwakausrüstung dabei haben. Mein einziges Ziel: vom Gipfel aus mit dem Gleitschirm zu starten. Morgen früh wird das Wetter besser, ich werde starten, bevor die Sonne zu hoch am Himmel steht, um eine ungünstige Thermik zu vermeiden. Wir bereiten uns auf eine ziemlich kalte Nacht vor.
Im Schein meiner SWIFT-Stirnlampe erklimmen wir den Gipfelpilz noch vor Tagesanbruch. Wir erreichen ihn gerade rechtzeitig, um von der atemberaubenden Aussicht während des Sonnenaufgangs zu profitieren. Nachdem ich mit Rolando Garibotti Fotos vom Gipfel studiert habe, weiß ich ziemlich genau, von wo aus ich starten muss.
Ein berauschender Flug
Zu meiner Überraschung weht der Wind oben noch ziemlich stark und in der falschen Richtung. Ich beschließe, mich fünf Meter unter dem Gipfel zu platzieren, um mich zu schützen und unter dem Wind zu starten. Ich versuche mich zu konzentrieren und vernünftige Entscheidungen zu treffen. Ich warte bis der Wind nachlässt, um meinen Gleitschirm aufzuziehen. Leider stellt sich das Segel quer und ich muss abbremsen, um die Position zu justieren, wodurch ich etwas Schwung verliere. Nach drei Schritten wird das Gelände sehr viel steiler und ich schwinge mich in meinen Sitz, um den Startvorgang zu beenden – mein Segel streift leicht die Schneeflanke, bevor es den Rand der Wand übersteigt und ich mich 1500 m über dem Abgrund endlich sicher fühle.
Der etwas heikle Start hat mir einen ordentlichen Adrenalinstoß beschert. Die Landschaften vor mir sind einfach atemberaubend. Ich segle zwischen den Gipfeln des Fitz Roy und der Torre. Dieser Moment zählt zu den magischsten Augenblicken meiner kurzen Karriere als Gleitschirmpilot. Nach 17 Minuten reinster Ekstase lande ich sanft auf dem Gletscher und mache mich auf den Rückweg nach El Chalten. Ich gehe ganz gemütlich und freue mich darauf, mittags wieder in der Stadt zu sein und einen guten Kaffee zu trinken. Ich denke auch an meine Kameraden, die sich in diesem Moment abseilen und noch einen langen Fußmarsch vor sich haben.
Ein Gleitschirmflug von einem Gipfel dieser Art ist nur möglich, wenn alles nach Plan abläuft und das Glück es gut meint mit dir, so dass du das Wetter und den Wind auf deiner Seite hast. Ich bin sehr glücklich, dass ich das alles erleben durfte: die Entdeckung einer legendären Route und einen fantastischen Flug.
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